Das Gehalt der Artisten heute0
Im Januar 2015 haben Zeichner und Autoren von Comics in Angoulême (Veranstaltungsort des BD-Festivals in Frankreich, Anm.d.Ü.) demonstriert, um die Regierung und den Präsidenten Hollande auf ihre Situation aufmerksam zu machen, denn ihre finanzielle Situation wird immer schlechter. Ein Gesetzentwurf sieht vor, die Rentenversicherungsbeiträge für Künstler zu erhöhen, was einem Verlust von einem Monatsgehalt entspräche (die meisten von ihnen kommen kaum auf den gesetzlich festgelegten Mindestlohn.)
Es handelt sich hier um ein Problem, dass auch die Bereiche der Literatur und der Musik betrifft. Vielleicht werden mich einige Leser jetzt als Marxisten einstufen, aber ich stelle fest, dass ein heikles, aber materielles Thema immer wieder auftaucht: das Gehalt der Künstler. Was verdienen sie wirklich?
Diejenigen Künstler, die in den Medien gefeiert werden, leben im Allgemeinen auf großem Fuß: drei Autos, Villas in aller Herren Länder, Privatjachten, Partys jede Nacht, usw. Sie haben schon einmal, so wie ich auch, in der Zeitung gelesen, dass dieser oder jener Künstler Millionen für sein letztes Werk kassiert hat, und er wird uns wohl nicht leid tun. Aber diese Stars sind eben nur die Spitze des Eisbergs, die wirkliche Situation ihrer Kollegen reflektiert das nicht.
Das Grundproblem ist, dass die Vergütung der Künstler nicht im Verhältnis zu ihrer Arbeitszeit steht.
Warum? Die Schuld der bösen Arbeitgeber? Oder des Staats, der den Bereich der Kultur sträflich vernachlässigt? Das ungebildete Volk, das sich nicht für die Kultur interessiert? Um zu verstehen, warum die Künstler mittellos sind, muss man näher hinsehen und die Mechanismen analysieren: Rückgang der Auflagenzahlen, Vielfältigkeit des Angebots und vor allem fehlende Einstufbarkeit.
1) Die Methoden der Verleger
Die kommerziellen Strategien der Herausgeber haben sich geändert. Die Verleger (von Comics und Romanen) veröffentlichen mehr Titel, aber verringern deren Auflagen. Weil das Ziel des Verlages ist, einen möglichst breiten Katalog zu haben, der für jeden Kunden etwas hat, und damit möglichst viel zu verkaufen. Dazu gehört auch, so viele Autoren wie möglich zu führen, um der Konkurrenz das Wasser abzugraben.
Das ist geschickt, denn eine niedrige Auflage verringert das Risiko. Es macht keinen Sinn, 10 000 Exemplare von einem Erstlingswerk zu drucken, die dann im Reißwolf verschwinden.
Andererseits zahlt er seinem Autor weniger, weil weniger Exemplare verkauft werden.
Es gibt Künstler, die dagegen sprechen1: sie finden, dass zu viele Neulinge am Markt akzeptiert werden. Dieses Argument hört man auch für die Bereiche Literatur und Videospiele. Und solche Argumente sind verständlich. Wenn man jahrelang warten muss, bis man den Status eines berufsmäßigen Künstlers erreicht hat, wenn man alle erdenklichen Mühen auf sich genommen hat, bis man seinen ersten Band veröffentlicht sieht, und man muss dann hören, dass ein jeder „genommen“ wird, kann man das Gefühl der ungerechten Behandlung verstehen. Man hat sich seinen Platz schwer verdient, und anstelle von einer „Belohnung“ wird einem das Einkommen gekürzt.
Welche Lösungen ? Wieder zu einem Elitedenken zurück? Schwierig in Zeiten des Internets und der Demokratisierung. Ausstellungsräume im Internet für den Anfang bereitstellen? (z.B. Amilova²)
2) Nicht-Skalierbarkeit
Für Mathematik-Geschädigte wird dieser Abschnitt die schlimmsten Erinnerungen wecken. Es sei ihnen aber anbefohlen, die folgende Argumentation zu lesen, um das Problem der Ungleichheiten zu verstehen.
Für die Mehrzahl der Berufe hängt das Gehalt von der Arbeitszeit ab. Das Honorar des Zahnarztes, der Verdienst eines Bäckers, das Gehalt eines Schlossers wird von der bei der Arbeit verbrachten Zeit und damit zusammenhängend der Anzahl der Kunden abhängen. Wenn jemand siebzig Stunden pro Woche arbeitet, verdient er das Doppelte wie sein Nachbar, der 35 Stunden arbeitet.
Man kann nun einwenden, dass diese Proportionalität nicht immer eingehalten ist. Frauen verdienen bei gleicher Kompetenz weniger als Männer³ und es gibt sicher Unterschiede innerhalb einer Berufsgruppe. Das bleibt allerdings beschränkt: nehmen wir zwei Lehrer, zwei Maurer, zwei Ärzte. Deren Gehalt kann um einen Faktor zwei abweichen, vielleicht auch bei einem das Dreifache ausmachen. Das ist eine Ungleichheit, aber sie bleibt in vertretbarem Rahmen.
Betrachten wir jetzt die nicht skalierbaren Berufe, wie Künstler, Sportler, Erfinder, Trader. Das Entgelt hängt nicht von der Arbeitszeit ab, sondern vom Erfolg. Und hier sind die Unterschiede abgrundtief, um nicht zu sagen anstößig. Nehmen Sie zwei Fußballprofis, zwei Schriftsteller oder zwei Schauspieler. Da geht es nicht um einfaches oder doppeltes Gehalt, hier geht die Skala von eins bis 10000. Das ist tiefste Ungleichheit.
Aber wie können unsere demokratischen Gesellschaften solche Unterschiede hinnehmen? Um dieses Phänomen zu verstehen, schauen wir uns die Logik des schwarzen Schwans und die Verteilung der Absatzzahlen an.
a) Ungleichheit zwischen den Autoren
Man muss zunächst die großen Unterschiede in der Verteilung der Buchverkäufe betrachten. Das Pareto-Prinzip, die 80 / 20-Verteilung, wirkt hier in seiner schlechtesten Art. Nach den Informationen des Verlags „Editions Humanis“[4] verkauft die Hälfte der verlegten Autoren weniger als 300 Exemplare, 10% verkaufen über 1000 und für nur 1% steigen die Verkäufe auf über 2000 Exemplare. So kann ein Schriftsteller ein Jahr lang an einem Roman arbeiten und am Ende nicht einmal 300€ verdienen (unter dem RSA, d.i. Sozialhilfesatz in Frankreich, Anm. d. Ü.). Schreibt er einen Bestseller[5], kann er mit einem Buch 500 000€ machen. Schockierend? Nein! Die Autoren haben darauf keinen Einfluss.
Jeder, der von seiner Kunst leben will, kennt das Problem. Eine Kunst berufsmäßig zu betreiben ist schon schwer, davon zu leben erst recht.
b) Ungleichheit innerhalb der Arbeit eines Künstlers
Mit einem üblichen Beruf verdient man jeden Monat das gleiche Gehalt. Als Angestellter weiß man, dass das Gehalt im April dasselbe ist wie im Oktober.
Die Einkünfte der Autoren sind aber ungleichmäßig verteilt, er kann zum Beispiel einen erfolgreichen Monat im Januar haben (ein Band erscheint, ein Buch oder ein Videospiel verkauft sich gut) und daneben einen sehr schlechten Monat Juli, weil sein Produkt sich nicht verkauft oder nicht bemerkt wird.
3) Welche Lösungen ?
Als Künstler kann man entweder Stabilität anstreben, oder man hofft auf den « schwarzen Schwan » oder auch auf die kollektive Lösung setzen.
Option 1: Stabilität.
Man hat einen festen Beruf mit regelmäßigem Gehalt. Zum Beispiel als Programmierer in einer Firma unter der Woche und am Wochenende entwickelt man ein Videospiel. Viele Schriftsteller sind als Journalisten tätig. Diese Künstler haben weniger Zeit für ihre eigene Produktion, aber ihr Einkommen ist gesichert. Anderes Beispiel: man unterrichtet bildende Kunst in der Schule mit garantiertem, regelmäßigem Einkommen.
Option 2 : den « schwarzen Schwan » suchen
Ich benutze hier einen Ausdruck des libanesischen Philosophen Nassim Nicolas Taleb, der damit ein – unerwartetes Phänomen mit unverhältnismäßigen Ausmaßen, ein außergewöhnliches Ereignis – bezeichnet. Das kann negativ sein (der Atomunfall von Fukushima) oder auch positiv (La Horde du Contrevent von Alain Damasio; preisgekrönter, französischer Fantasy-Roman, Anm.d.Ü ).
Die Ungleichheit existiert aber nicht nur innerhalb der Autoren: das Pareto-Prinzip wirkt auch auf die Produktion jedes einzelnen Künstlers. 20% der besten Werke bringen 80% der Einnahmen (und nach demselben Prinzip stellen die besten 4% 96% der Einkünfte, usw.) Das Erscheinen eines einzigen „Hits“ kann für einen Artisten den Hauptanteil seiner Einkünfte stellen
Der große Nachteil dieser Suche des « schwarzen Schwans » ist, dass der Künstler sich jahrelang mit unverkäuflichen Werken abmüht, ohne zu wissen, wann sich der Erfolg einstellt (wenn er denn eines Tages kommt) und er wird womöglich aufgeben.
Option 3 : Die Solidarität.
Die diversen Möglichkeiten, die der Staat anbietet, Sozialhilfe oder Verträge als „intermittant“, (d.i. Methode der Berechnung von Arbeitslosengeld für Künstler in Frankreich, Anm. d. Ü) erweisen sich oft als nicht ausreichend.
Man könnte Künstlerkooperativen gründen und die gemeinsamen Einnahmen auf die Mitglieder verteilen. So könnten mehr Künstler ihren Unterhalt verdienen, aber man wird einwenden, dass diese „kommunistische“ Vision im 20. Jahrhundert gescheitert ist. Die Bauern arbeiteten in sowjetischen Kolchosen für die Allgemeinheit, bezogen ein Gehalt vom Staat und besaßen daneben ein kleines Stück Land zur Eigennutzung. Eigenartigerweise wurde auf letzteres sehr viel mehr Energie verwendet, während der Staatsbetrieb nichts mehr erwirtschaftete. „Warum sollte ich mich für die Gemeinschaftskasse krummlegen?“
Ich bevorzuge die kollektive Lösung, trotz ihres utopischen Charakters. Gemeinsam ist man stärker und kann Qualität produzieren. Es wird geteilt, aber „lieber 1% von einer Million verdienen als 100% von gar nichts“.
[1] http://www.charentelibre.fr/2012/01/02/bande-dessinee-la-bulle-eclate,1072679.php
[2] http://www.amilova.com/
[3] Le Monde, « Dans le monde: une grande part de l’écart de salaire hommes-femmes est inexpliquée, selon l’OIT », 10 décembre 2014 (vgl. Artikel in Le Monde vom 10. Dezember 2014 « Ein großer Teil der ungleichen Gehälter zwischen Männern und Frauen in der Welt bleibt unerklärbar nach Informationen des OIT)
[4] http://www.editions-humanis.com/combien-gagne-auteur.php (…/wieviel verdient ein Autor)
[5] Ich will damit nichts gegen Bestseller sagen, in meinen Bücherregalen stehen alle Bände von Stephen King, Michael Crichton, Bernard Werber. Ich möchte in meinem Artikel die Gegebenheiten analysieren aber in keiner Weise ein Werturteil abgeben.
Pendarias Laurent, « Le salaire des artistes aujourd’hui », Médiations philosophiques n° 9, juin 2015
Der Artikel von Laurent Pendarias « Das Gehalt der Artisten heute » ist in der Zeitschrift „Philosophische Meditationen“, Heft 9, Juni 2015, erschienen.
Comments are closed.